Emotionsforschung

Pathos, Affekt, Gefühl

Die Emotionen in den Künsten
Hrsg. Klaus Herding
und Bernhard Stumpfhaus
Walter de Gruyter Verlag, Berlin
1. Auflage 2004
649 Seiten, broschiert
Sprache: Deutsch 
ISBN: 3110177358 
 
Emotionen bestimmen das Leben, sie sind das Kraftwerk der Gefühle. Emotionsforschung will diesen Energien auf den Grund gehen
 
Die hier versammelten Beiträge verstehen sich als erster Schritt einem Diskurs über Emotionen, um deren Inhalt zu ergründen und Information zu geben
 
 
Emotionsforschung wurde ins Leben gerufen. Es stellt die Frage nach den psychischen Energien in uns und zu unserer Umwelt. Das Projekt nahm sich dafür die bildenden Künste. 2004 ist bei de Gruyter ein umfangreicher Band mit Aufsätzen erschienen, der von Klaus Herding und Bernhard Stumpfhaus unter dem Titel „Pathos, Affekt, Gefühl. Die Emotionen in den Künsten" herausgegeben wurde. Ganze 662 Seiten mit Tafelteil am Schluß umfaßt der broschierte Band mit gelbem Umschlag, auf dem Caravaggios berühmtes Medusenhaupt abgebildet ist. Das Forschungsprojekt tat sich anfangs schwer, weil benötigte Gelder fehlten, um forschen und publizieren zu können. Es war bald abzusehen, daß das Forschungsprojekt auf der Strecke bleiben könnte. Es wird mittlerweile durch Eigeninitiative der Initiatoren weitergeführt. Der vorliegende Band, der zahlreiche Abbildungen im Textteil enthält, entspringt besseren Zeiten, als der internationale Kongreß vom 30. Mai bis 02. Juni 2002 in der Oper Frankfurt durchgeführt wurde. Es geht der Emotionsforschung nicht darum ein bestimmtes Wissen über psychologische und neuronale Zusammenhänge weiterzugeben, sondern darum eine grundlegende Veränderung bei der Interpretation kultureller und humanitärer Fragen zu stellen. Klaus Herding versuchte eine Definition zu geben, indem er sagte, es sei eine aus Alltagserfahrungen heraus wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Thema der „psychischen Energien“. Ohne direkten Bezug auf das Empfinden, sind Aussagen über Kunst nur mangelhaft zu entscheiden. Emotionsforschung ist deshalb wie eine produktive Paradoxie. Im vorliegenden Band wird Emotionalität im Hinblick auf die vielen Teile dieser Paradoxie untersucht. Wenn der Titel der Publikation mit den Worten Pathos, Affekt, Gefühl  anhebt, sind damit schon einige Teile benannt, die in den natur- und kulturwissenschaftlichen Disziplinen allerdings so unterschiedlich ausgelegt werden. Damasios Unterscheidung zwischen Emotionen und Gefühlen beispielsweise, läßt sich im Ausdruck von Affekten nicht auf einen künstlerischen Ausdruck übertragen. Wenn Neurophysiologen die Komplexität des menschlichen Gehirns bezüglich der Gefühlsempfindung entziffern, dann ist das noch nicht gleichbedeutend mit Gefühlsäußerungen. Erst einem emotionalen Ausdruck im Kunstwerk, können Literatur- Kunst- und Musikwissenschaftler in der Untersuchung wirklich nachgehen. Die hier versammelten Beiträge verstehen sich als erster Schritt, dem Diskurs über Emotionen und deren Ausdruck einen angemessenen Rahmen zu verleihen. 
 
 
Die darauf folgenden Beiträge gliedern sich in vier Sektionen:
 
I.        Erkenntnistheoretische Voraussetzungen, historische und anthropologische Bestimmungen von Emotionen
 
II.      Zur Genese einer Theorie der Emotionen in der Geschichte der Ästhetik
 
III.     Das Kunstwerk als Feld des emotionalen Ausdrucks
 
IV.      Zur Auseinandersetzung mit ästhetischen Normen in den Medien der Gegenwart
 
 
Erste Sektion
 
Bei Wolfhart Henckmann ist es hermeneutisches Verstehen, das im Umgang mit selbstverständlichen Gefühlen umzugehen lehrt. Bei  Wolfgang Lenzen steht die Auseinandersetzung mit Damasio und LeDoux im Vordergrund, Martin Löw-Beer prüft was gegen den Terminus "Einfühlung" spricht. Wolfgang Tunner behandelt in physiologischer Absicht die Begriffe Emotion, Phantasie und Kunst. Rainer Krause geht es um den Status der Kreativität und deren emotionale Verankerung. Ausgangspunkt ist Rilkes Ich-Schwäche. Gerd Althoff zufolge geht es um den Begriff „Gesinnung“ wie er seit der Reformation erst durchgedrungen ist. 
 
 
Zweite Sektion
 
Klärung ästhetischer Begriffe unter philosophischer Prämisse nimmt  Ursula Franke vor. Grundsätzlich fragt sie nach der Bedeutung der Leidenschaften bei Aristoteles, Descartes und Kant. Helga de la Motte-Haber wiederum stellt die Frage nach dem Wandel von der Nachahmung der Affekte zum Ausdruck eines seelischen Innern in der Musik. Slavony Zizeks Ausgangsthese lautet: Die Musik löst sich seit Rousseau vom Transport der Wort-Affekte. Dieter Schnebels Liebesschmerz und Liebestod sind zentrale Themen in der Oper.  Jörg Zimmermanns Essay basiert auf Kierkegaards Begriff des „Musikalisch-Erotischen“, so sehr er dies an Wagner und Stravinsky auch exemplifiziert.   Agnes Heller initiiert einen philosophisch fundierten Diskurs primär über Kunstrezeption, ausgehend von der Aporie, welche Rolle Emotionen bei Kreativität spielt. Brigitte Scheer betont die Durchlässigkeit oder Verbindung der Gefühle zur Vernunft.  Birgit Recki versucht die Frage nach Gefühl und Vernunft neu zu stellen. 
 
 
Dritte Sektion
 
Wulf Raeck zeigt sich ein immer engerer Zusammenhang zwischen den vier erwähnten Sektionen, soweit dieser als Ausdruck in Kunstwerken der Antike zutage tritt. Michael Fried führt vom Selbstbildnis Matisse zu Caravaggios Bild „Junger Mann, der von einer Eidechse gebissen wird“. Bei beiden wird ein Spiegelbild benutzt. Klaus Herding versucht grauenerregende und sanfte Ausdrucksformen in Kunstwerken als emotionale Mitteilungen zu entziffern. Thomas Kirchner befragt grundsätzliche Bestimmungen von Emotionen auf deren Ausdruck in bildender Kunst. Werner Hofmann untersucht das „bipolare der Moderne“. Mit Flaubert versteht er darunter die gezielte Mischung gegensätzlicher Formhöhen. Carsten Zelle geht es um die pathogene Subjekterfahrung, danach ist Selbstbewußtsein untrennbar mit Selbstgefühl. Barthélmely Jobert geht der Frage nach, was Delacroix über „passions“ und „sentiments“ in der Kunst notiert hat. Ralph-Rainer Wuthenows Abhandlung bildet die Heilung der Leidenschaften bei La Bruyere, Diderot, La Rochefoucauld, Stendahl und Goethe aus. Kerstin Thomas unternimmt den Versuch, Stimmung von Affekten zu unterscheiden. Claudia Schmölders wiederum untersucht den Begriff Scham von vier Quellen ausgehend: AT, antike Affektenlehre, Darwin 1872 und von Freud 1906.
 
 
Vierte Sektion
 
Der Architekt Daniel Libeskind bietet drei Essays über eigene Werke in Osnabrück, Manchester und Berlin. Peter Eisenman wiederum befaßt sich mit emotionalem Engagement unter dem Aspekt der Aufarbeitung kollektiver Vergangenheitstraumata. Er unterscheidet, ausgehend von Proust, „nostalgia“ und „memory“ und sieht in letzterem eine weitreichende Aktivität. Lars Spuybroek versucht eine architektonische Struktur des Unbewußten zu entwerfen. Rudolf Herz untersucht kollektive Gefühlsregungen und deren Folgen im Nationalsozialismus. Régis Michel hat das Video als Gegenstand seiner Untersuchung gewählt, weil es nach Auffassung des Autors das Medium ist, das technisch besonders fortgeschritten und zugleich am offensten für die Aufnahme kritischer Positionen ist. Gertrud Koch untersucht den physischen Ausdruck einer multivalenten Emotion: das Weinen im Kino. Josef Fruchtl behandelt Coolness als soziales Phänomen der Ästhetik. Michael Schirner arbeitet bei der Erregung von Emotionen mit Paradoxien. Bernhard Stumpfhaus untersucht den emotionalen Kontext zeitgenössischer Werbestrategien. 
 
 
 
Ohne die Unterstützung zahlreicher Sponsoren hätte der Kongreß seinerzeit nicht realisiert werden können. Dazu zählen zahlreiche renommierte Institutionen wie Privatpersonen. Die Drucklegung der Kongreßakten konnte ebenfalls nur aufgrund großzügiger Zuwendungen gestaltet werden. Außerdem kommt dem de Gruyter Verlag Verdienst zu, weil er sich dem Thema von Anfang an mit Interesse zugewendet hat. Zu erwähnen sei vielleicht noch, daß sich ein Forschungsprojekt mit dem Namen: Psychische Energien bildender Kunst am Kunstgeschichtlichen Institut in Frankfurt weitergehend intensiv mit der Problematik befassen wird.       
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