Geboren 1891 in der Ukraine, war Komponist der mit Stücken wie das sinfonische Märchen "Peter und der Wolf" (1936) oder die Oper "Die Liebe zu den drei Orangen" (1919) Berühmtheit erlangte. Er komponierte nicht nur, sondern war auch literarisch tätig und schrieb unbekannte Erzählungen, die einen märchenhaften Ablauf haben und deshalb eine literarische Entdeckung sind. Vielleicht sollte diese frühe Prosa auch als Vorlage dienen, um später vertont zu werden. Darüber wird keinerlei Auskunft gegeben. Inhalte der Erzählungen sind nicht unbedingt geeignet, um daraus ein Musikstück zu komponieren. Sie müssen gelesen werden, um sich zu amüsieren. Sie sind humorvoll und haben zumeist einen skurrilen Verlauf.
Der wandernde Turm. Die Erzählungen von Sergej Prokofjev Vorschau Leseversion...
Prokofjevs "Der wandernde Turm" (1918) verfügt über eine Art Raketenantrieb, um zu wandern und sich an anderem Ort aufzustellen. Geradeso als könne man Eiffelturm und Paris neu platzieren. Im Tempus der Erzählung ist ganz das frühe 20. Jahrhundert gemeint, das vor Erfindungsreichtum, vom Automobil bis zum Flugzeug, nur so sprühte. Lucian Plessner räumt in seinem Nachwort einen Zeitraum von 1917 bis 1921 ein. Das wäre geeignet gewesen, um in der französischen Buchreihe "Le Livre de Demain" herausgegeben zu werden, in der in diesen Jahren zahlreiche Autoren auf Französisch veröffentlichten, die zudem mit kräftigen Originalholzschnitten stark illustriert sind.
Inhaltlich reichen Prokofjevs Erzählungen weit in die Vergangenheit zurück. Da ist die Rede von Assyrern und Mesopotamien, ein weit hergeholter Zusammenhang. Ein wenig erinnert das an Stummfilme von Fritz Lang. Das ist der Klassiker "Metropolis" (1927) oder etwa "Das wandernde Bild" (1920), die erst später veröffentlicht wurden. Aber es geht im wandernden Turm auch um Flucht, geradeso wie z.B. in biblischen Vorlagen. Ein unsteter Reisender ist der wandernde Turm. Lucian Plessner sagt Prokofjev "den ausgeprägten Sinn für Musikalität und den Umgang für Kompositionstechniken" in seinen Erzählungen nach. "Die Art wie ein literarisches Motiv wiederholt und variiert wird, erinnert an musikalische Motivanwendung."
In der Wohnung Sergej Eisensteins fand der Gitarrist Lucian Plessner in einer vergilbten Zeitschrift Erzählungen des großen Komponisten Sergej Prokofjev und landete damit eine literarische Sensation: Lange war nicht bekannt, dass der Komponist auch schriftstellerisch tätig war. Auf seinen unzähligen Reisen schrieb er humorvoll-skurrile Geschichten, die die gesellschaftlichen Verhältnisse seiner Zeit aufs Korn nehmen: Da begibt sich der Eiffelturm aus Sehnsucht nach dem Turm der Türme auf Wanderschaft nach Babylon, ein eitler Offizier und ein verliebter Maler wetteifern um eine Frau und legen sich dafür mit Schopenhauer an, oder ein Ingenieur verliert seine Frau und den Verstand. In seinem erzählerischem Werk, das hier vollständig vorliegt, spiegeln sich Prokofjevs Vorliebe für märchenhafte Stoffe, Zeiteinflüsse wie Dada und Surrealismus, aber auch die russische Erzähltradition.
Der Band aus der Edition Elke Heidenreich bei C. Bertelsmann enthält eine Sammlung mit elf Erzählungen, die Prokofjev (1891-1953) in mehreren Jahren verfasste. Der illustrierte und gebundene Band mit Schutzumschlag enthält unter anderem die Erzählungen: "Ein fieser Hund" (1917), "Die zwei Grafen" (1918). Weitere Erzählungen sind: "Kröten", "Ultraviolette Freiheiten" (1919) und anderes mehr. Die meisten der Erzählungen haben einen Umfang von etwa 10 - 20 Seiten insgesamt dann 192. Das Schriftbild der gebundenen Ausgabe bleibt mit genügend Zeilenabstand lesbar, so dass die Lesefreude nicht verloren geht.
Entzückend ist auch die sechs Seiten umfassende Erzählung "Als der Uhrmacher tot war". Eine Entscheidung darüber, ob er in den Himmel oder in die Hölle kommen soll, fällt da nicht schwer. Er kommt also in die Hölle. Nachdem seine bösen Taten vom Teufel nach einer Prüfung beglaubigt worden sind, was Inhalt der Erzählung ist, steigt der Uhrmacher zum Inspektor auf und darf zurück auf die Erde gehen, um weitere Menschen in teuflische Missgunst zu bringen, was nicht ohne Freudenschrei des Uhrmachers geschieht. Womit die Erzählung schon ihr Ende hat.
Herausgegeben wurde der Erzählband von Lucian Plessner. Die holzschnittartigen s/w Illustrationen im Buch stammen von Babette Klingenberg und sind passend zur skurril modernen Erzählweise. Sie zeigen den wandernden Turm als dehnbare Figur, die großen Schrittes umherschreitet. Das erinnert auch an die Formensprache bei Marc Chagall, die ein wenig entrückt scheint und wie schwerelos vor sich hin schwebt. Der Text, die Übersetzung aus dem Russischen sind von Plessner und Alexandra Kravtsova. Auch ein Nachwort von Lucian Plessner wurde hintenan angefügt. Die Zeittafel zu Schaffen und Werk benennt Prokofjevs wichtigste Lebensdaten.