Zum Auftakt der Reihe Objekte widersprechen thematisiert Priya Basil die Bedeutung des Wortes „Schloss“, das ursprünglich einen Palast bezeichnete, aber auch die Bedeutungen Verschluss oder Riegel haben kann. Die Autorin nutzt diese Zweideutigkeit, um vieldeutige Schlussfolgerungen zu ziehen. Das englische Wort „belonging“ beschreibt einen Zugehörigkeitszustand, der eine sichere Beziehung zu einem Menschen, einem Ort oder einer Sache umfasst. Es bedeutet jedoch auch Besitz, was sich auf mein oder unser Eigentum beziehen kann.
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Foto (c) Kulturexpress |
Die Vorfahren der Autorin wanderten aus Indien über Kenia nach Großbritannien ein, ihr Leben war stark vom herrschenden Kolonialismus sowie vom Kampf um Unabhängigkeit und Wiedergutmachung geprägt. Die Autorin war sich lange Zeit nicht bewusst, dass sie in Berlin wohnen und die deutsche Staatsbürgerschaft annehmen würde. Eine Folge ist die Auseinandersetzung mit dem Berliner Stadtschloss, dessen Wiederaufbau lange vor seiner Umsetzung geplant war. Das Bauvorhaben rief von Beginn an Widerstand in vielen Teilen der Gesellschaft hervor, von Aktivistinnen bis zur Wissenschaft.
Priya Basil folgert: Das Berliner Schloss steht nur exemplarisch für eine rückschrittliche Entwicklung. Aber wie nur wenige andere Dinge kann Erinnerung zugleich Schlüssel und Schloss sein. Daher legte sie besonders Augenmerk auf Kritik an der deutschen Erinnerungskultur zur Kolonialzeit sowie auf Schwachstellen im Zuge der Wiedergutmachung. Sie spricht den Abbruch des Palastes der Republik in der ehemaligen DDR an, der dem wiedererrichteten Berliner Stadtschloss vorgelagert ist.Die Autorin übt Kritik an einem im Zentrum der Hauptstadt gelegenen, wiederhergestellten kaiserlichen Schloss, das teilweise mit unrechtmäßig erworbenen Gegenständen aus Kulturen weltweit gefüllt ist. Wie konnte es nur so weit kommen? Wie sieht die Erinnerungskultur aus, die das Humboldt Forum prägt? Nach dem Wiederaufbau des Berliner Schlosses wurde bald die Umbenennung in Humboldt Forum vorangetrieben.
Die Autorin umschreibt das Schloss als Bodybuilder auf der großen Bühne, der sich in Pose wirft: mit gespreizten Beinen, erhobenen Armen und einer geschnörkelten Fassade, die fast bis ins kleinste Detail nachgebildet wurde und durch private Spenden von 100 Millionen Euro finanziert ist. Das Gebäude stelle ein Beispiel dafür dar, wie im 21. Jahrhundert Klasse und Geld den Charakter des öffentlichen Raumes in einem demokratischen Deutschland beeinflussen können.
Es stellt ein Aushängeschild für eine hochmoderne Form des Feudalismus dar, die mindestens Kosten in Höhe von 572 Millionen Euro verursacht hat. Ähnlich gestaltete Entwicklungen aus dem gesamten Bundesgebiet erwähnt sie, die jedoch meist nicht so kostspielig waren. Sie spricht von einer demokratischen Kultur, die sich auf diesem Weg zu entfalten versucht und Tendenzen des neonationalen antreibt. Beim ersten Betreten des Schlossinneren habe sie das Kraftfeld der Kolonialität und dessen verzerrende Auswirkungen wahrgenommen, so ihre Meinung zum Humboldt-Forum. Das Berliner Schloss stelle eine in Stein gemeißelte koloniale Essenz dar, vergleichbar mit einem Destillat. Die Initiatorinnen des Wiederaufbau-Projekts behaupten, dieses Bauwerk heile eine Wunde in der Stadtmitte. Dem ist jedoch nicht so: Vielmehr hebt es die Größe einer Verletzung hervor, die sich vom Schloßplatz über das Holocaust-Mahnmal bis zur Wilhelmstraße 92 erstreckt - dem Standort der ehemaligen Reichskanzlei, an dem 1884/85 die Berliner Afrika-Konferenz stattfand.
Im Frühjahr 2020 erhielt Priya Basil die Einladung, ein Projekt zu planen und zu kuratieren, bei dem Autor*innen auf Objekte aus den Sammlungen trafen, um zu sehen, welche Erzählungen daraus entstehen könnten. Das Buch ist aber auch ein Leiden an den Zuständen, wie sie sich durch die übermächtige Schlossarchitektur auf das Individuum auswirken. Die Fassade, das Forum im Inneren bieten Anlass zum Makel, dennoch wurde etwas neues geschaffen, um das alte und verbrauchte aus dem Gedächtnis zu löschen und von der Wirklichkeit wie sie jetzt ist, abzugrenzen. Obwohl das Humboldt Forum rein physisch fast fertiggestellt ist und eines Tages vollendet erscheinen mag, wird es niemals wirklich abgeschlossen sein: Der Erwerb von Wissen, Aufbau an Beziehungen und Verständnis sowie die Instandsetzung werden eine permanente Baustelle bleiben. Die künstlerische Prozessdokumentation stand und steht bei Priya Basil stets im Mittelpunkt ihrer Arbeit und erhält dadurch seine Berechtigung auf Glaubwürdigkeit. Der Inhalt des Buches ist auch als Video-Essay auf der Website des Humboldt Forum abrufbar.
