Moderne am Main 1919 - 1933

Moderne am Main 1919 - 1933

Autoren: Klaus Kemp, Annika Sellmann, Matthias Wagner K und Grit Weber

Verlag: avedition, Stuttgart
1. Auflage, 2019

kartoniert, 296 Seiten

zahlr. farbige Abb.
ISBN: 978-3899863031
Größe: 16,7 x 2,7 x 24,2 cm

Dabei handelt es sich um den Katalog zur Ausstellung, welche im Museum Angewandte Kunst MAK vom 19. Januar bis 14. April 2019 in Frankfurt lief, also schon vorüber ist. Dennoch liefert der Katalog didaktische Ansätze, die im Umgang mit Frankfurt durchaus hilfreich sein können. Zuerst stellt sich die Frage, welche Moderne denn angesprochen sein soll? Im ersten Kapitel wird die Überschrift "Moderne am Main" auf den Begriff des "Neuen Frankfurt" revidiert.

 

Ist das als Bruch mit dem Buchtitel zu verstehen oder warum dieser Sinneswandel? Der Main ist viel ausgedehnter, landschaftliches Erlebnis, als dass er sich allein auf Frankfurt bezieht. "Neues Frankfurt" steht viel stärker als feststehender Begriff für Stadtentwicklung und die 1920er Jahre. Gestalterische Verdichtung auf engstem städtischem Raum welche auf Initiative mehrerer einflussreicher Mitarbeiter des Frankfurter Bauamtes zurückgeht, darunter Ernst May und Martin Elsaesser als auch dem früheren Oberbürgermeister Ludwig Landmann, aber auch Kunsthistoriker Fritz Wichert oder die Designerin Lilly Reich kommen zur Sprache.

 

Die Behandlung der Moderne in Frankfurt ist gewiss kein leichtes Thema. Die baulichen Gegebenheiten, so wie sie sind, stehen oftmals gerade im Widerspruch zu jeglicher Moderne. Um hier einen Ausgleich zwischen den Lagern der Historie und der Modernität zu schaffen, gilt es vordergründig eigene Wege einzugehen. Insofern ist der Bauhaus-Gedanke nicht so einfach übertragbar auf Frankfurter Verhältnisse. Dynamik und Aufbruchsstimmung bestimmten seinerzeit aber auch hier die Entwicklung.

 

Oftmals sind die Bedingungen alles andere als einfach, so sehr ist das altertümliche Frankfurt in seiner historischen Verwurzelung verhaftet geblieben, was bisweilen jegliches Empfinden überdeckt und mit Moderne nicht viel im Sinn hat, diese sogar ablehnt. Deshalb ist der Blick in dieses Buch so wichtig, das sich zur Aufgabe gestellt hat, die Moderne auszupacken und vor den Augen des Lesers zu entrollen. Auch das "Neue Frankfurt" kennt verschiedene Phasen der Entwicklung, ähnlich dem Bauhausbetrieb oder der Hochschule für Gestaltung in Ulm. Das sind Indizien für eine städtische Bewegung, die sich seinerzeit in Frankfurt abgespielt haben muss. Ersten Aufschluss darüber geben verschiedene Pläne der Siedlungs- und Verkehrsverdichtung, die in und um Frankfurt herum in zentrischen Kreisen angelegt wurden. Dabei kommt den Stadtplanern die Systematik während der Planung nicht abhanden. Der rheinmainische Städtekranz wird propagiert, einem Gebilde, das in seiner Ausdehnung etwa dem heutigen Rhein-Main-Gebiet entspricht. Hierin ist der Punkt "Moderne am Main" vielleicht wirklich getroffen worden.

 

Neben emblematischen Bauten die entstanden, war die allgemeine Wohnungsnot und der Wohnungsbau ein Antreiber für verstärkte Initiativen. Dazu zählte auch die Neugründung der Frankfurter Messe, die zur Großmesse expandierte. Das imposante Werkbundhaus vor den Toren der Messe ist ein Beispiel für den verstärkten Willen des neuen Bauens. Das Gebäude existiert längst nicht mehr und wurde von der Messe durch größere und höhere Neubauten ersetzt. Das Haus diente seinerzeit als funktionaler Anker zwischen handwerklicher Orientierung, Gewerbetreibenden und großem Messebetrieb.

 

Ein weiteres Kapitel beschäftigt sich mit der Forschung und welchen Einfluss die Moderne ausübte. Vor allem Film, Musik und die Erfindung des Radios zählen zu den Bereichen mit Erfindungsreichtum. Schon 1924 wurde der erste Radiotag ausgerufen. Fritz Wichert und Hans Flesch konzipierten eine Radiosendung, die sich "Gedanken zur Zeit" nannte und an die Weimarer Republik anknüpfte. Nicht zu vergessen ist das Institut für Sozialforschung, dessen Existenz die Grundlage einer neuen Wissenschaftsgattung ausmachte, den Sozialwissenschaften. Ohne deren Einsatz heutzutage große Teile des Staates nicht funktionieren würden.

 

Weiteres Anliegen war es Netzwerke zu schaffen, wobei dies ein Begriff aus der Jetztzeit ist, der nicht so richtig in die Weimarer Zeit passt. Gesellschaften aller Art und deren Gründung stand im Vordergrund, um Wirtschaft und Haushalt zu stärken. Plakate und Aufmachungen folgten stilistisch dem Trend der Epoche, der war modern und zeichnete sich durch geometrische Reduziertheit aus, wie das an den Bauhaus-Vorbildern abzulesen war.

 

Schließlich wurde die Frankfurter Kunstschule, die Städelschule, unter Fritz Wichert erneuert. Auch hier geht der Katalog sehr didaktisch vor, indem fast lehrhaft auf die Zusammenhänge hingewiesen wird. Beispiel sind Werbekampagnen für Mouson-Seife, aber auch Max Beckmann fehlt nicht in dieser Kategorie. Werbegrafik und Typografie bis hin zu kunstgewerblichen Techniken wie Email, Schmuckdesign, Keramik und Textilgestaltung kommen vor. Insofern ist die Geschichte des Kunstgewerbemuseums in Frankfurt auch die Geschichte des MAK selbst, das sich in vielen Facetten in diesem Ausstellungskatalog spiegelt.

 

Dann folgt aus meiner Sicht der Übergang zum nächsten größeren Schritt: "Großstadt gestalten". Der Begriff Großstadt ist ebenfalls moderner Art und dürfte in den Jahren entstanden sein, in der die "Moderne am Main" aktuell war. Anschaulich gezeigt werden Flächenverteilungspläne und historische Grünflächenpläne, die eine Ahnung davon vermitteln, wie sich die Großstadt immer mehr ausdehnt. Dazu zählt umfangreiche Infrastruktur, welche auf Bedürfnisse der urbanen Gesellschaft zu antworten weiß.   

 

Ein weiteres Kapitel heißt: "In Produktion gehen" dieses will die Wirtschaftlichkeit des Landes aufzeigen, angepriesen von der "Frankfurter Küche" bis zur Elektrizität im Haushalt mit Telefonanschluss. Nicht zuletzt werden hier auch die Adlerwerke erwähnt und das von Walter Gropius entwickelte Automobil vorgestellt. Die Kraft der Reklame propagiert sich selbst. Somit hängt die Idee von der Großstadt und ihrer Gesamtheit insbesondere auch von ihrer Elektrifizierung ab. Fotografien von Gisèle Freund, Marta Hoepffner oder Ilse Ring liefern anschauliche Abwechslung in diesem Reigen.

 

Ausblicke auf die Gegenwart sind kaum zu finden, viel zu einflussstark ist die Gestaltungsmoderne 1919 - 1933 in Frankfurt gewesen, weshalb zuerst eine Bestandaufnahme notwendig geworden ist. Denkmodell um Utopien und Alternativen wenn es im Epilog darum geht, nicht nur historische Rehabilitation zu betreiben, sondern Perspektiven in politischer, sozialer, gesellschaftlicher und gestalterischer Hinsicht abzugeben. Dahinter steht die tagesaktuelle Auseinandersetzung, wie um die Vorkriegs-  und die Nachkriegskonstruktion der Frankfurter Paulskirche als Ort des Demokratieverständnisses. Rekonstruktion oder Sanierung des Gebäudes, was ist zeitgemäßer? Genauso zählt das Frankfurter Schauspielhaus zu den städtischen Debattenorten. Neubau oder Sanierung, welche Variante ist effektiver und vor allem kostengünstiger? Auch hier können programmatische und gedankliche Ansätze des vorweg gedachten "Neuen Frankfurt" bei der Entscheidungsfindung dienlich sein.   

Eine Buchrezension von Kulturexpress

Bucheinband: avedition, Stuttgart


 

 
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