Als Kind soll er die Angewohnheit gehabt haben, wild gestikulierend mit einem Stock durch die Luft zu schlagen. Seiner verwunderten Mutter erklärte der damals Fünfjährige, er zeichne am Himmel – der erste Schritt zu einer künstlerischen Karriere.
Am 15. Dezember 2012 wäre Oscar Niemeyer 105 Jahre alt geworden. Den kindlichen Bewegungsdrang eines Zeichengenies hatte er sich bis vor seinem Tod erhalten. Er ging bis fast zum Schluss täglich immer noch in sein Büro – Zeichnen ist die Grundlage für seine geschwungene, von großzügigen Kurven geprägte Architektur.
Mit frei schwingenden Hauskörpern und einer plastischen, fast skulpturalen Bausprache machte sich der Großmeister der Moderne schon früh einen Namen. Über 500 Projekte, gigantische Wohnblöcke – und natürlich die Hauptstadt Brasilia, die in nur fünf Jahren aus dem Nichts erstand: dem großen Wurf ist der Architekt sein Leben lang treu geblieben. Moritz Holfelder würdigt nun mit einem Hörbuch diese letzte lebende Architekturikone des 20. Jahrhunderts. Er erhält Audienz beim Meister und lässt ihn seine Philosophie und Architektur kommentieren: „Architektur muss Überraschungen kreieren, sie muss ein Gefühl, oder sogar einen Gefühlsausbruch erzeugen". Auf einer Reise durch Brasilien besucht Holfelder die Originalschauplätze und gibt sie mitsamt ihren Umgebungsgeräuschen authentisch wieder. Seine Hörer erfahren Geschichten rund um die Bauwerke, etwa wie die Sakralbauten Niemeyers von der Kirche aufgrund seiner bekannten politischen Einstellung zunächst verteufelt wurden, oder erleben die Erinnerungen an Niemeyers Zusammenarbeit mit Le Corbusier am New Yorker UN Hauptquartier nach. Zeitzeugen kommen zu Wort, und heutige Nutzer geben Auskunft über die Rezeption der Bauwerke. Holfelder, der „Gast aus Deutschland" bringt die schwingenden Formen Niemeyers zum Klingen.
Moritz Holfelder hat in seinen Hörbüchern bei DOM publishers bereits die Architekten Peter Zumthor, Zaha Hadid, Daniel Libeskind und die Architektengruppe GRAFT portraitiert. Die Architekten kommen jeweils selbst zu Wort, umreißen die Ideen und Motive ihrer Bauwerke und äußern sich zu ihrer Philosophie. Vor dem inneren Auge der Hörer entsteht ein Bild, das vielleicht sogar mehr aussagt als ein Foto oder eine Zeichnung. Für diese ungewöhnliche Leistung wurden die ersten drei Hörbücher im Frühjahr 2012 mit dem Deutschen Hörbuchpreis ausgezeichnet. Das Preisgeld wurde für die Realisierung des Hörbuchs mit Oscar Niemeyer eingesetzt.
Moritz Holfelder
(Jg. 1958), Journalist und Autor, lebt in München und Berlin. Er ist ständiger Mitarbeiter des Bayerischen Rundfunks und des Norddeutschen Rundfunks, seine Fachgebiete sind Film, Architektur, Bildende Kunst und DDR-Geschichte.
Moritz Holfelder
Skulpturen aus Beton: der brasilianische Architekt Oscar Niemeyer
ISBN 978-3-86922-236-3
Erschienen im November 2011. DOM publishers