Das Interview ist eine Form, die überwiegend im Journalismus Verbreitung findet. Das kleinformatige Buch mit leuchtend grünem Einband will mehr sein als nur eine lapidare Befragung. In Abschnitten wird eine Lebensgeschichte erzählt, nicht eine die aus tragischen Schicksalen zwischen Krieg und Frieden besteht, vielmehr wird ein ästhetisches Konzept geboten, welches der Interviewte für sich errungen hat und worin seine gesamte Lebensidee enthalten ist. In diesem Buch steht etwas, was Jean-Christophe Ammann während seiner langjährigen Tätigkeit als Professor im Museum für Moderne Kunst in Frankfurt kund getan hat, nur in neue Facetten gepackt und in abgewandelter Form von neuem hervorgebracht. Ein Kreislauf in Gedankenbildern, was mehr oder weniger aus feststehenden Grundhaltungen besteht, die sich am jeweiligen Kunstwerk neu zu manifestieren wissen. Ammann ist durchaus bereit dazuzulernen. Er tut das auf seine individuelle Weise, das ist erfreulich.
Das ausgestellte Kunstwerk nimmt in diesen Ausführungen die Rolle des Vermittlers an. Begeistert? Eine Frage, die über wohlwollen oder missfallen entscheidet. Hier wird ein Fabel für junge Talente sichtbar, vor allem diejenigen die der Kunstmarkt erst noch entdeckt. Stipendiaten, Meisterschüler, Wettbewerbsgewinner, freie Künstler, Internationale und andere.
Auch die Klassiker werden benannt. Jasper Johns, jener Künstler, der die amerikanische Flagge zum Motiv erkoren hat. Die typischen Schraffuren im Bild die zum Markenzeichen geworden sind. Donald Judd oder de Koonings Werke zählen dazu. Beuys und Warhol fehlen nicht. Francesco Clemente, der eine Ausstellung mit einem überdimensionierten Aquarell in der Frankfurter Schirn hatte.
Was Jean-Christophe Ammann im Gespräch mit Stefan Banz sagen will, ist eine außergewöhnliche Obsession. Einer der Begriffe die Ammanns Umgangssprache immer wieder belebt. Denn er schätzt das obsessive, um sich und sein Gegenüber damit unmittelbar in Disposition zu stellen. Richtungweisend im Gedanken wohin es gehen soll. In seiner Arbeit liegt etwas stringentes. Das muss nicht schlechthin neumodisch sein, das kann auch Courbets "Der Ursprung" (1866) sein. Ein Motiv, nur Ausschnitt vom Ganzen, das an der Grenze zur Pornografie steht und dennoch zeitgemäßes Kunstwerk ist. Kunst kann lasziv sein, das darf nicht vergessen werden.
Godzilla Adaptionen aus Japan des im eigenen Land umstrittenen Fotografen. Nicht weit ist das große Bild seines Künstlerfreundes Franz Gertsch und das bis zur Übermenschlichkeit erhöhte, photographisch inspirierte Portrait: Johanna. Ein Entwicklungsprozess wie zu vermitteln versucht wird, bis dieses Bild entstehen konnte. Auch dieses Werk ist obsessiv in seinen Dimensionen. Alberto Giacometti tritt ein bei der Vermittlung. Sein schattig drahtiger Ruf klingt hohl und hallt laut hörbar über die Berge.
Das rein politische schätzt der Manager Ammann nicht unbedingt in seinen Gesprächen, er sieht wohl etwas kunstfeindliches darin? Das brächte seine Ideen durcheinander, die auf dünnen Weben der "Schwarzen Spinne" gesponnen sind und sofort an Ästhetik verlören. Doch im Wahlkampfjahr auf Politik verzichten, das kann nicht sein, auch auf die Einstellung eines neutralen Kunst-Managers nicht.
In weiteren Ausführungen geht es um die Vermischung von Ordnung und Unordnung. Der Kunstpädagoge weiß und fragt nach, was das Ergebnis einer solchen Dialektik ist? Die Chaos-Theorie jedenfalls ist umstritten genug. Ein Thema, das in der Kunst noch nicht entschlüsselte Potenziale enthält. Es sind die Möglichkeiten der Entfaltung, die zur Verwirklichung der künstlerischen Umsetzung führen. Das Chaos selbst ist in der Diskussion aus dem Fokus geraten. Wenig positives für die Erziehung ergibt sich aus der Chaotik, die mit dem Urknall ihren Anfang nimmt. Dabei sind Theorie und Chaos kunstgeschichtlich wirklich geeignet, um epochemachend sein.
Ammanns Didaktik ist kognitiv. Sie beruht auf der Erkenntnis, dass das Leben nach Obsessionen sucht. Sie findet sich in Filmen wieder, genauso wie bei Francis Bacon. Eine besondere Nähe verspürte er immer auch zu dem erst kürzlich verstorbenen Künstler Lucian Freud, dessen vom Menschen erfüllte fleischliche Malerei irgendwie wertvoll ist.
Dann greift die Stringtheorie ein, als wäre sie zum anfassen nahe, erwähnt Stephen Hawking und leitet auf Einsteins Relativitätstheorie über, als ginge es darum ein sinfonisches Werk begreiflicher zu machen. Das ist sehr kompakt gedacht und entbehrt jeder wissenschaftlichen Disziplinierung. Der Gedanke dient allein einem Zweck, der Kunst Flügel zu verleihen. Hinaus aufs offene Meer zu gehen. Die Kunst mit Brückenfunktion, um der ins Stocken geratenen Physik wieder auf die Beine zu helfen. Das klingt vermessen. Doch Ammann meint das ganz ernsthaft. Er belegt das mit seinen vielen Kontakten und Gesprächen, die er mit hochkarätigen Wissenschaftlern führt über dieses Thema. Seine Art der Kontemplation genießt bis zu einem bestimmten Grad den Anspruch der Fantastik.
Schließlich ist es die Erfindung des Beamers, die der Ausstellungshalle neue Größenordnungen der Projektion verschaffte!
Viele Filme über die der Kunstinterpreter erzählt. Ganz neu, Lars von Triers "Der Anti-Christ" gefolgt vom Symbol für das Weibliche. Eine kurze Inhaltsbeschreibung des Films wird gleich mitgeliefert. Oder Kultregisseur David Lynch, der einer gewissen Härte nicht entbehren kann.
Autor Stefan Banz kuratiert noch bis 03. November 2013 eine Ausstellung "Kunsthalle Marcel Duchamp" auf der Mathildenhöhe in Darmstadt zusammen mit seiner Lebensgefährtin Caroline Bachmann.
Ein Vogelhaus, ein großer Briefkasten, eine Camera obscura? Wer sich dem bis dato unbekannten Objekt auf dem Freigelände der Mathildenhöhe nähert, weiß erst einmal nicht so genau, was er da vor sich hat. Auf einem Metallständer steht da eine mit Teerpappe ummantelte Holzkonstruktion, darin fünf verglaste Öffnungen, aus denen nachts das Licht dringt. Blickt man in das Miniaturbauwerk hinein, eröffnet sich in seinem Inneren ein fulminantes Reich der Kunst.Die Kunsthalle Marcel Duchamp, diese Modellarchitektur für ungewöhnliche künstlerische Einsichten und Blickwinkel stand bisher im schweizerischen Cully östlich von Lausanne, direkt am Ufer des Genfer Sees. Die Schweizer Künstler Caroline Bachmann und Stefan Banz haben sie dort als Hommage an Marcel Duchamp, den Altmeister sinnlicher Konzeptkunst, errichtet. Kaum zufällig befindet sich unweit von Cully der Wasserfall, der Duchamp im Sommer 1946 zu einem titelgebenden Element seines letzten Meisterwerkes Étant donnés: 1° la chute d'eau, 2° le gaz d'éclairage (Gegeben seien: 1. Der Wasserfall, 2. Das Leuchtgas…) inspirierte.
Erwähnt wird Marcel Duchamp, indem ein Buch von Stefan Banz zitiert ist: "Marcel Duchamp and the Forestay Waterfall" . Ammann erläutert bei Duchamp den Einbruch vom Imaginären ins Reale, was durch Ziegelsteine repräsentiert wird. Zwischen Guckloch und durchbrochenen Ziegelsteinen schiebt sich eine Zeitebene ein. Eine die sich auf das Gesamtwerk Duchamps bezieht als auch eine, die dem Einbruch des Realen als Erkenntnisform Rechnung trägt.
Auf Seite 36 steht der Schlüsselsatz, der zum Titel führt: "Das Wespennest ist eine Kathedrale". Der Interviewte überlegt, Wespen machen doch seit Gedenken immer dasselbe, während die Menschen immer etwas anderes tun. Von der romanischen Klosterkirche Maria Laach bis zu Le Corbusiers Ronchamp. Da ist ein elementarer Unterschied zwischen beiden Bauten.. Doch vergessen werden die emsigen Bienen, er lässt sie im Stich, finde ich, sie sind ihm zu brav. Sie können doch nur von den wilden Wespen lernen? Denn die Bienen sind in Not geraten. Wespen dagegen sind nicht zähmbar, gehorchen ausschließlich ihrer ausgefeilten Natur. Ammann unterschlägt bei seinen Gedanken, wie sehr Wespen zustechen können. Stiche die manchmal tödlich sind. Auf Hornissen fällt das Wort gar nicht mehr. Weiter hinten ist Peter Handkes "Der Bildverlust oder Durch die Sierra de Gredos" einmal erwähnt.
Nester der Wespen bleiben unbehelligt von den Krankheiten der Bienen. Obwohl Pestizide den Wespen genauso schaden dürften wie denselben vorher. Daraus wird ersichtlich, das Verhalten der Wespen ist besser auf die Situation zugeschnitten. Wespen leben ebenfalls in Staaten. Ihre Nester sind wahre Kunstwerke. Es gibt auch Killerwespen. Der Mainstream ist nicht ihr Ding, sie sind Freibeuter. Da müssen die Kulturbienen unterliegen. Das ist doch ungerecht?
Der Gestaltungswille ist genuin, sagt Ammann. Der Mensch der sich nicht projiziert, der regrediert. Soll heißen, die Kunst die nicht überwindet, kann nicht weiterleben. Wespen sind gefährliche Biester, zugleich haben sie die Fähigkeit wie die Bienen um Nester zu bauen, die wie Gebäude sind. Insektenvölker, die sich durchorganisiert haben. Bauen im Sechseck. Wo liegt der Unterschied zwischen Bienen und Wespen? Die Wespentaille erwähnt Ammann auch nicht. Sie ist zu einem Stigma der Gesellschaft geworden, wenn Frauen oder Männer auf ihre Dünnheit reduziert werden.
Stefan Banz vergleicht diejenigen Häuser, in denen Ammann gearbeitet hat. Das Kunstmuseum in Luzern, die Kunsthalle in Basel und das MMK in Frankfurt. Das sind drei Stationen im Laufe einer langen Laufbahn. Der ehemalige Direktor des MMK versteht sich als Kunst-Manager. Er hat die Fähigkeit zwischen Wirtschaft und Künstlern zu vermitteln. Kunst zu produzieren, ist nicht seine Sache gewesen. Er liebt die Pfeife von René Magritte "Ce n'est pas une pipe". Weil sie auf Leinwand gebannt ist, eine zweidimensionale Fläche ergibt und damit keine reale Pfeife ist. Kunst die leben will, muss finanziert werden. Das ist in sparsamen wie in großzügig gesponserten Zeiten gleichermaßen wichtig. Das ist dem Kunst-Manager nur all zu bewußt.
Einer der Künstler die geschätzt sind, ist Jeff Wall mit seinen Schaukästen, die rückseitig beleuchtet werden. Die durchscheinenden Fotografien verblassen nicht, weil ein bestimmtes Verfahren, welches vorwiegend in der Werbung genutzt wird, ein schnelles vergilben verhindert trotz intensiver Lichteinstrahlung. Die Chemie von Cybageigy hat es möglich gemacht.
Jeff Walls "Ondradek" zeigt ein Treppenhaus in einem alten Mietshaus in Prag. Eine junge Frau steigt die Treppe hinauf oder hinunter. Die Situation wirkt alltäglich, dennoch ist etwas unheimliches in der Szene, weil die Örtlichkeit geheimnisvoll wirkt. Eine besondere Fähigkeit die Beobachtung auf die künstlerische Aussagekraft zu lenken. Den Kern des Werkes verbal herauszuarbeiten.
Erwähnt wird die Basler Künstlerin Miriam Cahn, die mit eindrucksvollen manchmal fratzenhaften Bildern eine alemannische Note besitzt. Zum Teil gespenstische Halbwesen, die einem beim Betrachten ihrer Bilder begegnen. Faszinierend, weil eine intensiv sensibilisierte Teilnahme darin steckt. Sind es Hexen und Dämonen oder doch wieder nicht. Sie sind vertraut und dann wieder schreckliches Kunstwerk. Sind statisch aufgeladene farbenfrohe Wesen.
Verlag für moderne Kunst: www.vfmk.de