Hafenstädte haben eine eigene Form der Stadtgründung. Vor allem Städte an der Küste zum Meer zeichnen sich durch dieselben Eigenschaften aus und erhalten dadurch eigene Prägung. Häfen gibt es aber auch anderswo, wie in Städten mit schiffbaren Seen und an Flüssen. Stadtgründungen wurden aus ökonomischen Gründen oftmals an Gewässern angesiedelt, um der Bevölkerung eine gesicherte Trinkwasserversorgung zu ermöglichen. Andererseits haben Städte wie Frankfurt oder München mittlerweile große Flughäfen, was eine ähnliche Klientel wie in Hafenstädten mit eigenem Habitus hervorruft. Diese Entwicklung ist durchaus vergleichbar mit Hamburg, Rotterdam, New York oder London zu betrachten, weil sie meist weltoffener sind als andere. Die Bodenständigkeit der Menschen ist weniger ausgeprägt aufgrund einer stärkeren Fluktuation. Zugleich gelangen mehr Neuigkeiten aus der Welt an Land und in die Stadt. Trends und Moden können schneller Fuß fassen. Die Vielseitigkeit des Lebens erhält mehr Facetten. Ein Problem liegt deshalb vielleicht nur in der Wertschätzung dessen.
Die folgende Untersuchung versucht anhand von Bremerhaven und Rostock ein Bild nachzuzeichnen, für das, was typisch an diesen Städten ist. Dabei soll ausdrücklich die Authentizität der zwei ausgesuchten Hafenstädte erhalten bleiben. Insofern handelt es sich bei diesem Buch um eine Art Stadtführer mit höherem Anspruch. Durch den intellektuellen Hintergrund wird der Anspruch an den Leser erhöht.
Helmuth Berking ist Soziologe an der TU-Darmstadt, zu dessen Schwerpunkten zählen Globalisierungstheorien, kulturelle Globalisierung und Urban Antropology. Wenn dieses Buch in Romanform geschrieben wäre, dann hätte der Roman von Michel Butor "Der Zeitplan" Pate stehen können. Die Neuartigkeit der Ergebnisse prognostiziert eine solche Sicht jedenfalls. Butor beschreibt in seinem Roman eine englische Industriestadt, was in Tagebuchform aber mit veränderter zeitlicher Reihenfolge der Tagebucheintragungen geschieht, so dass ein völlig verfremdetes aber neuartiges Städtebild entsteht. Diesen Effekt der Neuartigkeit sehe ich auch in "Hafenstädte" gegeben. Einerseits narrative Inhalte, Beschreibungen von Bremerhaven und Rostock, anderseits werden diese durch wissenschaftliche Analyse wieder verfremdet. Das kann anregend sein. Die Krise der Hafenstädte jedenfalls scheint unaufhaltsam beschlossen, das erklären zumindest wirtschaftliche Daten. Sowohl Bremerhaven als auch Rostock haben große strukturelle Probleme zu bewältigen. Eine andere überarbeitete Herangehensweise könnte vielleicht helfen, um neue Perspektiven zu schaffen im Umgang mit diesen Städten. Die kontinuierliche Beschäftigung ist notwendig. In jedem Fall ist ein Kraftakt der eigenen Art gefordert.
Den Begriff "Habitus" auf Städte bezogen, wie in "Eigenlogik der Städte" von Martina Löw und Helmuth Berking aus dem Jahre 2008 wurde terminologisch auch in "Hafenstädte" übernommen. Das ist der Forschungsansatz von Helmuth Berking. Darüber hinaus werden andere Erklärungsansätze aufgezählt, um daraus eine Definition und Erklärung zu Hafenstädten allgemein zu formulieren. Der Versuch Rostock in einem anderen Licht als Bremerhaven darzustellen, gelingt nur partiell und kann auch nicht Sinn einer solchen Aufgabe sein. Beide Städte liegen im Norden von Deutschland und verdienen als Küstenstädte gleichermaßen Aufmerksamkeit. Denn als erstes müssen die Deutschen es leisten, diese Städte von der Peripherie aus wieder in die Mitte des Landes zu holen. Mit Speck fängt man bekanntlich Mäuse, könnte die Devise lauten. Nicht zuletzt spielt die Architektur eine Rolle, sie ist ein Spiegel der bestehenden Verhältnisse und drückt mit ihren Mitteln sowohl Missstände als auch Fortschritte der Entwicklung aus. Hafenstädte erfordern wie auch immer eine spezifische Architektur. Stadt als Container wird thematisiert, was ein betrübliches Signal für den Städtebau ist. 1966 erreichte übrigens das erste Containerschiff die bremischen Häfen. Was eine folgenreiche Entwicklung nach sich zog. An anderer Stelle wird Stadt als Sedimente bildend charakterisiert. Und wieder an anderer Stelle ist Stadt ein Fließraum. Ist das "Webmuster der kulmutativen Textur einer Stadt". Die Chicago School der Theoriebildung erkennt in Stadt das Laboratorium.
Umgangssprachlich wird Stadtraum auch mit einem "Planeten" verglichen, der seiner eigenen Umlaufbahn folgt und nach eigenen Regeln aufgebaut ist. Das trifft vor allem auch auf Städte mit weiten Stadträumen und großem Umland zu. Dazu zählt sicherlich auch die Behauptung, die Bevölkerung in Kalifornien und Wisconsins habe mehr Ahnung von Bremerhaven als die Menschen in Niederbayern, weil die Kreise mehr Bremerhavener bis nach Amerika ziehen als an einen anderen Ort. An mehreren Stellen zitiert Berking aus Umberto Ecos Semiotik-Theorie. Das was der Schriftsteller Eco einmal über die Semiotik als sprachliches Ausdrucksmittel formuliert hat, findet bei Wissenschaftlern und Architekten immer noch seine Gültigkeit. Eco veröffentlichte seine Semiotik vor fast 40 Jahren.
In anderem Zusammenhang beeindruckt der Kinofilm "Le Havre" (2011) von Aki Kaurismäki, der eine Hafenstadt am Kanal, Le Havre in Frankreich zum Thema hat. Eine rührende Geschichte zwischen Verfolgung und menschlicher Toleranz angesiedelt. Die Eigenheiten einer Stadt zu erzählen ist wie ein Vermächtnis. Meist gehen solche Erzählungen nicht über Nostalgie und bloßes Anekdoten erzählen hinaus. Im Kinofilm aber wird mit Witz und Ironie eine gerechte Lösung gefunden.
Siehe auch: Die Eigenlogik der Städte - Neue Wege für die Stadtforschung (2008) Herausgegeben von Helmuth Berking und Martina Löw im Campus Verlag