Handliches Taschenbuch aus dem Insel Verlag das mit einfacher Gliederung glänzt. Es gibt ein davor und ein danach, was mit Rettung und Neubeginn abschließt. Romantische Hinterhofansichten, wie sonst nur aus beschaulichen Mittelalterstädtchen bekannt, finden sich im Scheunenviertel, etwas ungewohnt für Berlin. Ein Trend der Zeit wird damit sichtbar gemacht. Wo sich Tourismus in den Metropolen der Welt entwickelt, zieht es die Menschen in die Altstadt. Diesen Bezug stellt zumindest Autor Rainer Haubrich mit seinem prosaischen Bändchen über das Scheunenviertel her. Er zeigt ungewohnte Szenerien ebenso die Einflüsse des großstädtischen Berlin von nebenan.
Wobei der Name Scheunenviertel schon etwas abwegig klingt, denn Scheunen sind im allgemeinen Gebäude, die sich üblicherweise in der Nähe bäuerlicher Gehöfte wiederfinden und als Anbau gedacht sind oder weiter entfernt auf dem Land stehen. Mit dem Begriff Scheune wird auch kein neuzeitlicher Bautypus verknüpft, wie das etwa bei Ernst Jünger geschah, der von 'Speichern' sprach, wenn solche Bauten aus der Ferne diesen Eindruck erweckten. Womit er moderne Architektur schlechthin meinte, die phantasielos geworden nur noch einheitlich ohne individuelle Merkmale nachwirkt. 'Scheune' ist oftmals auch ein Wort für alternative Umbauten, indem der Begriff redensartig verwendet wird.
Im heutigen Scheunenviertel von Berlin bietet sich dagegen ein individuelles Städtebild. Das reich illustrierte Buch beschreibt die frühesten Bauten des 18. Jahrhunderts, den idyllischen Garnsionsfriedhof, die Bürgerhäuser des Klassizismus und die Pracht der Gründerzeit, die einzig erhaltene Kaufhaus-Fassade Alfred Messels und das 20er Jahre Ensemble Hans Poelzigs an der Volksbühne. Weiterhin werden die Zeugnisse des Stalinismus und die Plattenbauten der DDR thematisiert. Mit Blick auf die Gegenwart werden aufwendige Restaurierungen und vielfältige Neubauten seit dem Fall der Mauer aufgeführt.
Dabei ist der Band nicht nur Chronologie, sondern liefert mit dem Text sachliche Zusammenhänge, die das Scheunenviertel kenntlich machen. Persönliche Geschichten werden nicht erzählt, die Bewohner selbst kommen nicht zu Wort. Insgesamt ist der Band dennoch repräsentativ und vorzüglich für Außenstehende geeignet, um Einblicke in die Baugeschichte Berlins zu erhalten. Dies geschieht vor dem Hintergrund der ehemaligen Residenz- und späteren Reichshauptstadt im 18. und 19. Jahrhundert. Die Ausstrahlung der Metropole Berlin strahlte bis mitten in das Scheunenviertel hinein. Strategien der Stadtplanung werden offensichtlich. Beeindruckende Bauten entstehen. Die Pracht von damals besteht allerdings nur noch aus Fragmenten, die immer stärker zu baulichen Anziehungspunkten werden, was nicht zuletzt aufgrund der Lektürehilfe geschieht. Das Großberlin von damals hat etwas in seiner Wirkung zugunsten der städtischen Beschaulichkeit eingebüßt. Dem Anspruch der Neuentdeckung kommt Rainer Haubrich auf die Spur, indem er seinem Bezirk einen Namen gibt und diesen innerhalb der städtischen Grenzen Berlins verortet.