Das ist so ein Buch, welches zum Lesen anregen soll und vor allem diejenigen angeht mit Interesse an der Thematik. Wieso Häuser lesen, welchen Zusammenhang gibt es zwischen zwei unterschiedlichen Disziplinen, der Literatur und der Architektur. Die Antwort ist einfach, denn es handelt sich um ein Lesebuch, welches über Erzählungen der Häuser berichten will. Das geht schon aus der Unterüberschrift hervor. Das Häuser sprechen und erzählen, ist wohl mehr durch eine genaue Beschreibung baulicher Details bedingt. Was gesagt ist, darüber geben drei Kapitel mit Prolog und einem Postskript näher Auskunft.
Eine Vielzahl an Autoren gehen in die Erläuterungen ein, sind Grundlage für den Text von Franz Göger. Einige wenige Beispiele stammen auch aus der Baupraxis überwiegend aus der fränkischen Heimat des Autors. Das läßt die Sache natürlich spannender werden. Zu Anfang werden Grundlagen vermittelt. Griechische Tempel sind Klanggebäude und Castel del Monte sticht heraus in seiner Architektur und achteckigen Form aus dem 13. Jahrhundert. Wobei meist kurze Passagen abgehandelt werden, deren Zitate sich der Autor bedient oder Quellen nennt. Vereinzeltes füllt dann mehrere Seiten oder taucht im Verlauf des Textes an mehreren Stellen wiederholt auf. Franz Göger unterrichtet Entwurf und Konstruktion in Coburg. Der lehrbetonten Vermittlung steht die ruhige Stimmung entgegen, mit der erzählt wird. Es gibt Höhen und Tiefen im Buch, insofern handelt es sich auch um ein Klangmodell, welches vor einem steht. Die Konzeption verlangt didaktisch einzuwirken, ohne einen abschließenden Plan damit zu verfolgen. Der Leser steht im Vordergrund der Betrachtungen, wird eingebunden in das scheinbare Planungsgeschehen. Nüchterne Berechnungslogik wird absichtlich vermieden, um den Leser nicht zu erschrecken. Es geht ums ganze Gebäude, das zusammenhalten soll.
Dem Text sind 37 s/w Abbildungen beigeordnet, meist sind es Fotos zum Teil sind kleinformatige technische Zeichnungen wie Grundrisse und Aufrisse von Gebäuden dabei. Zum anderen sind schematische Darstellungen und Cartoons vorhanden, die mit den Fotos korrelieren und immer im Kontext zum daneben befindlichen Text zu verstehen sind. Der broschierte Band umfasst 169 Seiten. Nach dem Prolog werden mit Kapitel eins einfache Grundkenntnisse vermittelt. Welche Hilfsmittel werden benötigt, um Häuser überhaupt lesen zu können. Dazu gehören zu aller erst einmal die Zahlen, dann folgen Zeichen, weiter geht es mit den Konstruktionen, den Funktionen, die Räume und die Wege. Nach diesem Grundlagenkursus ist der Leser vorbereitet, um sich dem inhaltlichen Teil im Buch besser widmen zu können.
Beispielsweise die Dichtkunst und die Architektur nehmen sich den Philosophen Ernst Bloch "Prinzip Hoffnung" (1959), ein Klassiker der Philosophie vor. Erwähnt ist der Schriftsteller Orhan Pamuk, der häufig architekturbetonte Ausdrucksformen in seinen Romanen verwendet. Dieses Interesse kommt nicht von ungefähr. Pamuk ist vorgebildet in Sachen Architektur, eine Disziplin die er jedoch niemals beruflich betrieben hat, wie er sagt, sondern nur eine Abfärbung auf sein literarisches Werk bildet. Gewissermaßen eine dichterische Komponente in seinen Romanen ist.
Solche Beispiele reihen sich aneinander, diese aufzuspüren, das ist die Kunst. Denn erst wenn der Roman mit seiner Textvorlage durchgelesen und verstanden ist, kann beurteilt werden, inwieweit Architekturbezüge eine Rolle spielen. Insofern handelt es sich bei den Namen und Buchtitel um einen wahren Fundus, der aus Literatur, Philosophie und Kunstgeschichte schöpft. Eine Idee, die durchaus weiter verfolgt werden kann, indem jemand ein Nachschlagewerk schafft, in welchem alle literarischen Werke aufgezählt sind, die für eine architekturbezogene Betrachtung in Frage kommen.
Passagen aus Hegels Architekturtheorie, 2. Band, 3. Teil, Vorlesungen über die Ästhetik. Die Elementargesetze der Bildenden Kunst, Friedrich Schinkel. Das Centre Pompidou von Renzo Piano und Richard Rogers ist Teil der Betrachtungen. Dargestellte Zeichnungen der Lastabtragungen am Centre Pompidou. Axel Schultes und Charlotte Franks Bundeskanzleramt. Hagia Sophia in Istanbul und Cordoba, Westgoten, spanische Halbinsel. Marcel Duchamps Treppe aus dem Jahre 1912 liefert Einblicke. Robert Musils Roman "Der Mann ohne Eigenschaften", Palladios Architektur, Alte Pinakothek in München, Würzburger Residenz, Gisbert Kranz "Das Architekturgedicht", Eduard Mörike, Gedicht über die Zisterzienserabtei, Rosseaus zurück zur Natur und mehr.
In der geographischen Beurteilung stammen mehrere der aufgeführten Anwendungen dann wieder aus der bayrischen Heimat des Autors, wie etwa die "Kappel" in Waldsassen, dessen Grundriss als Beleg für die Zahl drei verwendet wird. Die Alhambra, Bastion der Mauren in Spanien zeigt wiederum eine geographische Unabhängigkeit bei der Auswahl der Objekte. Ergebnis ist dann ein internationales Geflecht der ähnlichen oder völlig unterschiedlichen Bauweisen. Die Physik ist überall gleich bei der Konzeption, daraus kann kausal auf Belange auf dem irdischen Planeten geschlossen werden. Manche der Passagen und Literaturbelege waren schon im Band "Wortlose Geschichten" (2010) vom gleichen Autor verwendet worden.
Inhalt
Prolog
9
Kapitel I
Die Hilfsmittel der Häuser zum Geschichtenerzählen
15
Zahlen
17
Zeichen
26
Konstruktionen
38
Funktionen
48
Räume
59
Wege
76
Kapitel II
Die Dichtkunst und die Architektur
87
Goethes Gartenhaus in Weimar
89
Wie Dichter von Häusern erzählen
93
Eine Stadt als Biografie
99
Der gebaute Roman in La Scarzuola
108
Kapitel III
Über das Lesen
113
Wie Lesen die Wirklichkeit verändert
115
Alltägliches lesen
121
Die Deutung des Gelesenen
140
Postskript
151
Anhang
Abbildungsverzeichnis
157
(Quellen, Literaturhinweise und Abdruckgenehmigungen
158
Dank
169
Siehe auch: Wortlose Geschichten. Ein Lesebuch über die Architektur (2010) von Franz Göger bei Königshausen & Neumann