Ein Dialog der Künste

Ein Dialog der Künste
Beschreibungen von Architektur in der Literatur von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart
mit deutsch-, französisch- und italienischsprachigen Beiträgen
Hg. Barbara von Orelli-Messerli
Michael Imhof Verlag, Petersberg,
1. Auflage,  2012
gebunden 176 Seiten,
35 s/w Abb.
Größe: 24,6 x 17,6 x 2 cm
ISBN: 978-3-86568-872-9

Anlässlich des Internationalen Symposium vom 17. - 18. September 2010 an der Universität Zürich
 
Grundlegend für das Symposum 2010 in Zürich war die Erkenntnis, dass Architektur, Malerei und Skulptur in ihrer Entwicklung mehr denn je getrennt betrachtet werden. Nachbardisziplinen wie Ästhetik oder Literaturwissenschaften werden dabei weitgehend ausgeklammert. Dabei wären es gerade die Neurowissenschaften, die stilsicher zwischen den Wissenschaften agieren, um dazu beizutragen ein Umdenken in den Klassischen Disziplinen zu erreichen. 
 
In der Sprache der Architektur, deren Terminologie sich überwiegend aus einer Reihe an Regeln und Normen zusammensetzt, die immer aufs Neue der Überarbeitung bedürfen, um auf dem aktuellsten Stand zu bleiben, lastet manchmal ein Karteikasten. Bei diesen Reglungen kommen Kunsthistoriker oder Literaturwissenschaftler, die sich einer übergreifenden Ästhetik verpflichtet fühlen, fast immer zu kurz. Rationalisierung und eine übersichtliche Kostenplanung sind das Entscheidende einer jeden Bauplanung. Doch wo bleibt die Reflexion über Dinge, die auch andere Disziplinen aufgreifen? Insofern ist der Versuch, wohl bemerkt aus kunsthistorischer und literarischer Sicht, solche Mischformen zu beschreiben auch ein Aufruf immer weiter zu forschen. Nicht zuletzt bieten synästhetische Erfahrungen und Phänomene neue Blickwinkel in Gebiete, die nicht nur im Zusammenhang mit der Architektur stehen, sondern auch Bereiche der Psychologie, der Soziologie und der medialen Verbreitung berühren und daher einer umfassenden Vernetzung näher kommen. Umfassende Vernetzung aber ist gerade der Aspekt in der Architektur, sowohl während der Entwurfsplanung als auch bei deren Umsetzung, der immer mehr an Bedeutung gewinnt in der Lebenswirklichkeit.
 
Die Herausgeberin anerkennt, dass bereits in den Romanen im 18. und 19. Jahrhundert eine analytische Schärfe und Einfühlung vorhanden war, um komplexe architektonische Zusammenhänge zu erkennen. Diese Beschreibungen beschäftigen sich mit der Metamorphose von Bauten, dem allmählichen Stilwandel auch einzelner Bauformen. Das sind Fragen, denen sich sonst die Architekturgeschichte des 20. Jahrhunderts erst näher widmet. 
 
Zunächst werden Motive und Ursprünge untersucht, weshalb Schriftsteller und Kunstinteressierte sich überhaupt mit der Thematik Architektur befassen? Das Symposium im September 2010 versteht Architektur als Ort und Rahmen menschlicher Begegnung und deren erzieherische Kraft im platonischen Sinne. Eine ganz wesentliche Rolle spielen hierbei Reisebeschreibungen. Im Bereich der Architektur hat die Betrachtung von Monumenten, Räumen und Interieurs eine aufhellende Wirkung in Bezug auf gesellschaftliche Veränderungen und das Umfeld in dem sie sich widerspiegeln. 
 
Mit diesen Ausführungen treten Topoi als "architekturale Ekphrasis" zu Tage. Bildliche Beschreibungen mit denen sich Marina Engelbrecht in ihrem Beitrag: "Zwischen Faktizität und Literarisierung. Architekturbeschreibungen in der Reiseliteratur des 18. Jahrhunderts" befasst. Die Autorin betrachtet darin einen Wandel, wobei eine Differenzierung zwischen tatsächlicher Bezüge sowie deren Ausschmückung und der gezielt literarischen Verwandlung zu etwas anderem als das Vorhandene stattfindet. Mehrere Reiseaufzeichnungen aus dem englischsprachigen Raum werden herangezogen, wie die des Earl of Sandwich, Charles Robert Cockerell oder Robert Smirke, die während bauplanerischer Aktivitäten vor Ort ihre Eindrücke aus Griechenland sammelten und aufschrieben. Diese Aufzeichnungen belebten dann Diskussionen um einen Grecian style in der englischen Baukunst. Bei Hubertus Günther sind es Bauten auf altgriechischen Vasenbildern, die Anlass zur Betrachtung geben.
 
"Goethe begegnet Palladio" klingt fast wie ein Aufruf, den Hubertus Günther in seinem Beitrag ausspricht. Vorbild ist die legendäre "Villa Rotunda", die bei Johann Wolfgang Goethe als Märchenschloss erscheint. Der war es, der mit Zirkel und Lineal lauter Pilaster, Freitreppen und flache Dächer entwarf und daraus später ein Schloss für die Sylphiden ersann. Achsensymmetrischer Aufbau des Entwurfs nach vier Seiten mit Portikus sind das Kennzeichen wie schon Palladios Villa Rotunda. 
 
So berücksichtigte Colen Campell hauptsächlich vom Palladianismus beeinflusste Gebäude und trug zu dessen Verbreitung in England bei. Bestes Beispiel für eine Bauweise nach Andrea Palladio ist das Londoner Chiswick House von William Kent. Kritiker fanden die Bauweise nach Plänen der Villa Rotunda jedoch eher unpraktisch, weil das Haus aufgrund seines Grundrisses nicht einfach zu bewohnen ist.
 
Albert Coers widmet sich in seinem Beitrag: "Metamorphosen der Gotik"  den gotischen Kathedralen. Goethes Aufsatz von "Deutscher Baukunst" (1772) bildet den Anfang der Untersuchung. Friedrich Schlegel verkörpert Gotik in seinem Reisebereicht: "Grundzüge der gotischen Baukunst" (1804/1805). Ole W. Fischer nennt Henry van de Velde, der Friedrich Nietzsche liest und dabei auf eine "Architektur der Erkennenden" stößt. Anschaulich bebildert ist das Nietzsche-Archiv in Weimar von Außen und Innen. Ein Windfang mit Vestibül im Jugendstil verfügt über ein kristallin geformtes Oberlicht. Orelli-Messerli nimmt sich des französischen Schriftstellers Emile Zola an. Reproduktionen der Gotik finden bei Marcel Proust Eingang, dessen Blicke auf die Kathedrale durch den Filter John Ruskins betrachtet werden, so argumentiert Albert Coers. Sabine Frommel hegt Begeisterung für Honoré de Balzac, dem sie ein architektonisches Auge verleiht. Ähnlich steht es mit Victor Hugo, der mit außergewöhnlicher Präzision architektonische Belange erkennt. Um mit der Chronologie fortzufahren, nennt Thomas Gnägi seinen Beitrag: "Der schrecklich-schöne Traum der zukünftigen Stadt. Stadtutopien im Abenteuerroman des 19. Jahrhunderts". Die Bevölkerungszahlen haben sich vervielfacht, Städte expandieren. Die Baukunst unterliegt der Ernüchterung. "Form follows function" ist ein Satz, der seither verstärkt an Gültigkeit gewonnen hat. Paralleler Eisenbahnbau und die Anwendung neuer Bautechniken verändern die Ansichten der Gebäude vor allem in den Städten fast vollständig. "Expressionistische Lyrik", ein Beitrag von Ulrich Knufinke, ist fast schon ein Klassiker der Architekturbeschreibung, weil kontrastreiche Darstellungen und Formensprache im Expressionismus der Architektur sehr entgegenkommen. Valeria Frei schließt dann bis zur Gegenwart auf, indem sie den italienischen Autor Italo Calvino auf seine Architekturbezüge hin untersucht. 
Letzte Änderung am Sonntag, 22 Mai 2016 15:52
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