Ein Lesebuch, das viele Fragen rund um die Architektur stellt. Lässt sich Architektur schreiben? Schwer zu sagen! Der Autor meint, Bauwerke sind die Träger der Gedanken ihrer Erbauer. Das klingt schlüssig, wenn Bauten in der Lage sein sollten sich selbst zu erklären. Betrachter, so der Autor, müssen Grammatik und Wortschatz beherrschen. Die Grundlagen der architektonischen Sprache sind einem ständigen Wandel unterworfen. Hieraus ergibt sich ein Zusammenhang zwischen Kultur, Sprache und Architektur. Lebendige Architektur braucht das Bauen und das Schreiben.
Zahlreiche Beispiele der Architekturgeschichte werden angeführt, wie die Nuraghen-Kultur auf Sardinien und ihre bis auf den heutigen Tag geheimnisvoll gebliebenen Rundbauten. Zum anderen ist das Treppenhaus der Würzburger Residenz fassbares Beispiel, um den Wert von Häusern zu erklären. Das Olympiastadion von Günter Behnisch und Frei Otto ist ebenfalls hilfreich tätig bei der Beantwortung zu den Fragen. Darf Architektur modisch sein? Sie darf und sie ist es. Damit stellt sich die Frage nach der einen Wahrheit aber um so mehr. Soll heißen, dasjenige was gebaut wurde, ist immer auch wahr aufgrund seiner beherrschenden Materialität. Dabei fehlt ein Bestandteil die Bewertung betreffend, worauf es bei einem Bauwerk aber besonders ankommt. Bauhaus in Dessau oder die monströse Säulenhalle in Brüssel geben Anhaltspunkte für derlei Ansichten im Lesebuch.
Mies van der Rohe und die Nationalgalerie in Berlin stehen ebenfalls Pate bei der Veranschaulichung funktional konzipierter Baustränge entlang einer Ebene. Das ist Suche nach Vollkommenheit. Franz Göger benutzt Begriffe wie "Animus" und "Anima", was soviel bedeutet wie Verstand und Gefühl, die sich in diesem Augenblick der Beschreibung wie Gegensatzpaare des Männlichen und des Weiblichen gegenüberstehen.
Der Pädagoge ist am Zug, wenn vitruvianische Säulenregeln zur Sprache kommen. Man muss wissen, dass diese Regeln nach Vitruv über die Säulenordnung Jahrtausende lang das Wissen über die Baukunst geprägt und bestimmt haben. Der Pädagoge spricht auch, wenn einerseits nur in Prosa geschrieben wurde, um die Faszination an der Architektur zu wecken. Andererseits werden Inhalte behandelt, die nicht anders in einem Schulbuch stehen. Hier verfolgt der Autor seine Linie als Lehrender mehr denn als freier Autor. Schließlich untermalen Merksätze den Inhalt. In der Überschrift werden gar Handlungsanweisungen gegeben. Zügellose künstlerische Freizügigkeit wird nicht oben an gestellt. Nur eine ausgeformte Linerarität im architektonischen Sinne scheint herangezogen worden zu sein.
Ist Schönheit ein Kriterium? Der Autor zitiert Friedrich Nietzsche, um zu belegen, welchem Wandel die Schönheit unterliegt. Was die Menschen im vorigen Jahrhundert noch als schön empfanden als höchstes Ideal der Wahrheit, trifft heutzutage nicht mehr zu. "Stadtbad ohne Ding" ein Gemälde von Hans Peter Reuter aus dem Jahre 1980 zeigt sachlich betont das Innere einer Badeanstalt. Wer sich kunstgeschichtlich auskennt, erinnert sich an die Debatten der Architektur, die steril wie in der Badeanstalt nur aus Kacheln und Fliesen bestand und durch Gleichförmigkeit die Innenstädte prägte. Ende des 20. Jahrhunderts war das ein permanenter Vorwurf an die Stadtplaner. Auf der Biennale in Venedig sorgten schon in den 1980er Jahren regelrechte Inszenierungen gekachelter Wände für eine sukzessive Eroberung der Innenwelten durch glatte Sanitärbereiche. Was synonym stand für das verunstaltete Stadtbild der Zukunft.
Im Vergleich dazu setzt "Wortlose Geschichten" Jan Vermeers Gemälde "Die kleine Straße" aus dem Jahre 1687. Das Bild beschreibt eine Straße mit Backsteinhäusern im holländischen Stil, wobei nicht die Zentralperspektive gewählt wurde, sondern eine leichte Verschiebung der Perspektive nach rechts. Dieser Seiteneffekt hat Folgen für die gesamte Einstellung. Der Stufengiebel der Frontfassade ist zudem oben abgeschnitten und damit nicht mehr im Bild sichtbar. Eine scheinbare Nebensächlichkeit wird so zur Hauptsache im Bildverständnis.
Anschließend die Frage, was geschieht mit der Wahrnehmung der Sinne? Die Vielfalt der Eindrücke soll helfen ein Gesamtbild zu entwickeln, das möglichst differenziert die Einzelheiten wahrnimmt. Goethes Beitrag über das Straßburger Münster, ein gotischer Bau in seiner höchsten Vollendung, sieht Goethe im Jahre 1772 als ureigensten Ausdruck deutscher Baukunst. Nicht zuletzt auf Goethes Initiativen hin beruht die Tatsache, dass Ende des 19. Jahrhunderts der Kölner Dom in all seiner gotischen Erhabenheit vollendet wurde.
Dann jedoch schlägt die Beschreibung in eine polemisch intendierte Ironisierung der gebauten Architektur um, indem die provokative Frage aufgeworfen wird: Führt die Normalität zum Bau von "Kühlschränken"?
Was folgt, ist eine kritische Abhandlung über gedämmt, isolierte, nach allen Regeln der Technik entworfenen Häuserbauten der Gegenwart. Ein Gedicht von Günter Kunert bildet die Spitze des Eisbergs, indem dieser sagt: "Einwohner von Kühlschränken..." . Die normierte Forderung nach bauphysikalischen Regeln: wie Wärmedämmung und Energieversorgung sorgen für den Eklat. Doch wie findet die Architektur eigentlich Zugang zu den Menschen?
Paul Valery sagt es mit seinen Worten: "Die beiden Dinge, die den Wert eines Buches ausmachen", beim Lesen gelte es "jeden Augenblick die augenhafte Inbesitznahme der Zeichen aufzuheben, um an ihre Stelle Erinnerungen und Verknüpfungen von Erinnerungen zu setzen". Was geschieht also beim Lesen eines Buches anderes als beim Betrachten eines Bauwerks? Ein Gebäude besteht aus "begreifbaren" Zeichen. Sie schaffen in uns Erinnerungen. Carl Spitzweg hat diese Situation mit seinem frierenden Poeten unter dem Regenschirm in der Dachkammer köstlich umschrieben.
Aber auch Bezüge zur Musik werden mit Wolfgang Amadeus Mozart gesetzt. Geometrie der Variationen und Aufbau der Sätze bis hin zur Melodik kommen zum Vorschein. Ein Bauwerk das auf solche Bezugspunkte hinweist, ist das Schaulager in Basel von Herzog & de Meuron aus dem Jahre 2003. Kann ein Haus reden? Wenn ja, über welche Themen redet es? Zunächst kann es über seine baukonstruktiven Standpunkte kommunizieren. Leon Battista Alberti schaffte dagegen seine Bauwerke nicht aus der Konstruktion. Wolfgang Pehnt erkennt "phonetische Qualitäten" im Historismus und in der "architecture parlante".
Der Film "Drei Farben Blau" (1993) von Krzysztof Kieslowski beschreibt wie eine junge Frau auf ein Haus zuläuft. Die Kamera zeigt auf eine Fenstertür. Der Bezug zur Architektur in Interaktion mit der Protagonistin verdeutlicht die Gleichzeitigkeit von Abläufen und die Auswirkungen auf unser Bewußtsein mit Hilfe der Architektur. Egon Eiermann und Sepp Ruf haben dies 1958 mit dem Deutschen Pavillon auf der Weltausstellung in Brüssel versucht.
Was haben Tattoos mit Architektur zu tun? Hier steht Adolf Loos und seine Streitschrift "Ornament und Verbrechen" aus dem Jahre 1908 im Vordergrund. Der Papua tätowiert seine Haut. Was schließt Loos daraus? Franz Göger sagt, Ornamente können schlicht aus Spielfreude entstehen. Sie sind keine Verbrechen. Vielmehr sind sie Ausschmückung. Ihr Erbauer will dem Betrachter etwas mitteilen. Zur Wiener Secession zählte auch Walter Maria Olbrich. Stadt zeigt sich als kollektives Kunstwerk.
Häuser können aktiv und passiv an Geschichten beteiligt sein. Der Roman "Buddenbrooks" von Thomas Mann ist ein Beispiel für die passive Geschichte, die ein Haus aufgrund seiner Bewohner und ihrer Erfahrungen erzählt. Während das Straßburger Münster Teil einer aktiven Geschichte ist, indem unterschiedliche Bauzeiten unterschiedliche Baustile hervorgebracht haben ohne ein Durcheinander zu erzeugen.
"Storytelling" eine Renaissance im Geschichtenerzählen. Ein Prinzip unserer Denkvorgänge ist das Arbeiten mit Mustern. In diesen werden große Datenmengen komprimiert und abgespeichert. Dazu zählen auch komplexe Gefühlsvorgänge, auf die ein Großteil der Entscheidungsbildung zurückgeht. Auch an dieser Stelle ist eine Analogie zwischen Erzählen und dem Häuser bauen herangezogen im Lesebuch. Denn Gebäude werden anhand von Mustern erfasst. Die Karlskirche in Wien ist ein Beispiel. In seinem Text "A Pattern Language" hat Christopher Alexander die These aufgestellt, dass wir beim Bauen "Eine Mutter-Sprache" verwenden. Sie resultiert aus Verhaltensmustern, die zu abstrakten Bildern komprimiert wurden. Sein Buch enthält 253 Muster, die entscheidend über Wohlbefinden und Unwohlsein in einem Haus sind.
Beispiel für ein Muster nach Christopher Alexander: Muster 196. "Türen in Wohnräumen. Das Gelingen eines Raums hängt zu großen Teilen von der Lage der Türen ab. Schaffen die Türen ein Gewirr von Verkehrswegen, das die Orte in einem Raum zerstört, werden sich die Leute nie wohlfühlen".
Erzählung einer Fassade beschreibt mehrere Häuser vorwiegend aus dem fränkischen Raum in Bayern. Erstes Beispiel ist das frühere Frauengefängnis in Würzburg an der Burkarderkirche. Gezeigt wird ein Gemälde von Peter Speeth aus dem Jahre 1810 mit einer steil aufragenden Fassade neben der Kirche. Im übrigen eine Fassade die nach humanistischen Ideen von Pestalozzi und Herder entstand, wie es heißt und über die Erziehung des Menschen berichtet. Es soll die Entwurfsidee einer Besserungsanstalt sein, ein Novum zur damaligen Zeit. Die strenge Vertikalität des Gebäudes war der Ausdruck einer Haltungsverbesserung im Menschen. Verurteilte bleiben nicht mehr von vornherein unverbesserlich und abgestempelt auf Lebenszeit.
Der klassische Architekt und das Beispiel des Designers sind Beiträge, die den Schlussteil der "Wortlosen Geschichten" ausmachen und unter Prämissen stehen wie: frei sein, geborgen sein und beim Bauen helfen. Kevin Lynch "The Image of the City" weist in seinem Buch aus dem Jahre 1960 nach, Einwohner machen sich ein Bild von ihrer Stadt bestehend aus räumlichen Verknüpfungen. Ergebnis ist das traditionelle Stadtbild aus Wegen und Plätzen eines Ortes. Es gibt aber auch Grenzen der Organisation und die Bereitschaft über das Alte hinaus zum Neuen zu gelangen. Schließlich ist die faustische Unruhe im Menschen die endgültige Ursache ständig nach weiteren Erkenntnissen und nach neuen Ufern Ausschau zu halten. Ungeahnte Facetten der Baukunst eröffnen sich. Architektur und Baukunst werden niemals Gültigkeit wie die Physik mit den Fallgesetzen erreichen, soviel steht fest. Zu dieser Erkenntnis ist auch schon Bertolt Brecht in einer Parabel aus "Turandot oder der Kongress der Weißwäscher" gelangt.
Der Anhang enthält nochmals kurzgefasste kleine Beiträge zu beschriebenen Bauwerken und Personen. Abbildungsnachweis und eine alphabetische Übersicht der Quellen und der Literatur sind ebenfalls eingeschlossen.